Das Hammock River Resort bei Orillia erreichte ich an einem Freitag Mittag. Es gab eine Werkstatt in Orillia, welche Abgastests vornahm. Der Mann, der sie durchführte, hatte sich jedoch bereits zum Wochenende abgemeldet.


Letztes Frühjahr war das Resort Schauplatz eines Angelwettbewerbs gewesen. Für diesen Sommer hatten sich Adrianne und Bob, das Managerehepaar, etwas anderes einfallen lassen: Sie feierten mitten im Juli Weihnachten!


Nachmittags folgte ein Hay Ride (eine Heuwagenfahrt) mit „Santa“. Inzwischen bereitete Bob als „Gehilfe“ von Santa ein Lagerfeuer vor, an welchem die Kinder nach der Fahrt Mashmallows und Weiner (sprich „Wiener“) rösten konnten.


Die Kinder hatten reichlich Weiner und Marshmallows für die Erwachsenen übrig gelassen, die sich Bob und Adrianne dann etwas später am Lagerfeuer mit Freunden teilten (meine Bilder hatten mir Zutritt zu dieser Runde verschafft). Ich probierte die Marshmallows: Den ersten hielt ich zu lange übers Feuer, er weichte auf und rutschte vom Draht. Der zweite Versuch klappte besser und ich konnte das außen versengte, innen weich und klebrige, übersüße Zuckerwerk kosten. Es schmeckte ähnlich wie türkisches Lokum, nur die Pistazienkerne fehlten.

Bob war früher Sänger in einer Band gewesen und in Kanada sowie in den USA herumgekommen und Adrianne war als Sängerin aufgetreten.
Auch mir hatte Santa einige Lollies geschenkt. Die meisten hatte ich weitergegeben, einen hatte ich in der Brusttasche meines Hemds übersehen. Nach der nächsten Wäsche hatte ich „süße“ Hemden!

Ontario – yours to discover
Bob hatte mir eine Route nach Ottawa empfohlen, die rund 300 km durch Wald und kleine Orte führte. Nach 200 Kilometern hatte ich wieder einmal Probleme mit meiner Beleuchtungsanlage – und keine Werkstatt weit und breit, die den Schaden sofort beheben konnte. Der Meister einer Werkstatt bei Renfrew im Ottawa Tal war gründlich. Wenn das Verteilerkästchen ständig durchschmort, muss es irgendwo in der Anlage einen Kurzschluss geben, schloss er messerscharf. Er schickte mich mit dem Camry zur Toyota Niederlassung, während er den Kurzschluss im Trailer suchte. Auch im Auto war ein Relais durchgebrannt, ein neues nicht am Lager. Ich war mit einem gebrauchten Relais zum halben Preis einverstanden. Inzwischen hatte man in der Trailer-Werkstatt abgerissene Drähte im hinteren Kabelkasten gefunden. Sie hatten sich um das ausziehbare Netzkabel für den Stromanschluss auf einem Campingplatz gewickelt – eine Spätfolge des Unfalls in Wawa und diverser Auslotungen von Schlaglochtiefen. Ursprünglich hatte es mal eine eigene Schutzröhre für das Netzkabel gegeben.
Ich war froh, als ich Québec hinter mir gelassen hatte. Durch ein Land zu fahren, in welchem ich mich nicht mit den Leuten unterhalten konnte, war langweilig gewesen. Meine Nachbarn auf den Campings hatten ebenso wenig Englisch gesprochen wie ich Französisch.
An der Sprache merkte ich nicht, dass ich Québec verlassen hatte. In den Grenzregionen und entlang der Ostküste der Provinz war die Umgangssprache Französisch. Aber einen Unterschied zu Québec gab es schon: man (frau) verstand und sprach auch Englisch! New/Nouveau Brunswick ist die einzige offiziell bilinguale Provinz Kanadas (in Québec ist weder Englisch noch in den anderen Provinzen Französisch offizielle Amtssprache).
Die Provinz empfing mich mit einem Volksfest. In Edmundston sollte die „Foire Brayonne“ stattfinden, eine Kunst- und Künstlermesse, und die gesamte Brayonne (alte französische Bezeichnung für das Gebiet um Edmundston) feierte bereits Tage vorher. Auf dem Camping in St. Jacques gab es gleich zwei Musikbühnen – und mein Stellplatz lag im gleichen Abstand zu beiden Bühnen. Die Karaoke-Sängerin der einen Bühne machte Schluss, als es zu tröpfeln anfing – sie fürchtete um ihre Hightech-Anlage; die zweite Bühne machte weiter bis Viertel nach zwölf, am späteren Abend als Disko für Teenies. Aber vor zwei Uhr kamen die Teenies nicht zur Ruhe!


Meine Fahrt nach Osten führte mich auf der vierspurigen Autobahn an der Provinzhauptstadt Fredericton vorbei. Ohne die Schilder an den Abzweigungen hätte ich nicht gemerkt, dass ich an Fredericton vorbeigefahren war. Rechts und links der Autobahn war nur Wald zu sehen gewesen.
Das bekannteste Original von Fredericton ist kein Mensch, sondern der 19 kg schwere Coleman Frosch, der heute unter Glas im Museum zu bestaunen ist. 1885 war er, immerhin schon 3,6 kg schwer, in das Boot des Barkeepers Coleman gehüpft. Aber anstatt den Frosch zu küssen, hatte der Barkeeper ihn mitgenommen und mit einer speziellen Futtermischung aus Buttermilch, Maismehl, Insekten und Whiskey zum größten Frosch der Welt aufgepäppelt.



Beim Informationszentrum an der Grenze zu New Brunswick empfing ein Girl im Schottenlook die Touristen. Wenn neue Touristen ankamen, spielte das Girl eine kurze Melodie auf dem Dudelsack – es war jedesmal die gleiche Melodie.

Die ersten schottischen Aussiedlerfamilien, insgesamt 189 Seelen, waren 1773 in Pictou an der Westküste von Nova Scotia gelandet, nachdem die Briten zehn Jahre zuvor im Kolonialkrieg alle französischen Gebiete in Nordamerika erobert hatten. Den ersten Schotten folgten Scharen weiterer Highlander, die schließlich dem Gebiet ihren Namen gaben: Nova Scotia – Neu Schottland. Es heißt, dass die Waldberge in Nova Scotia und auf Cape Breton sie an ihre alte Heimat erinnerten. Ganz gewiss hat sie der Regen an Schottland erinnert – auch dort soll es ja häufig regnen.

Seit sechs Jahren liegt eine Nachbildung des Schiffes in der Bucht. Trotz dieser „Attraktion“ war ich froh, nicht in Pictou bleiben zu müssen – gegenüber vom Hafen blies eine Fabrik, die Holz zu Pulp, zu Brei für die Herstellung von Papier, verarbeitet, ihre Rauchschwaden in den Himmel. Der Gestank verfolgte mich bis zum Campground – und der lag sechs Kilometer außerhalb der Stadt.

Bereits 1749 hatten die Briten Halifax als Garnison gegründet. Von 1799-1802 war Prince Edward, der Vater der späteren Queen Victoria, als Duke of Kent Kommandant von British North America gewesen und hatte sich in dieser Funktion vorwiegend in Halifax aufgehalten. Sein Abschiedsgeschenk an die Stadt war ein Glockenwerk aus Europa für die Old Town Clock am Festungshang.


Die Kanonen einer Festung auf dem Hügel über dem Hafen beherrschten Stadt, Hafen und The Narrows, die Passage in das weiter landeinwärts gelegene Bedford Bassin. Heute gehört die Zitadelle von Halifax zum nationalen historischen Erbe Kanadas.
In den beiden Weltkriegen war Halifax Verteilerzentrum für Versorgungsschiffe nach Europa gewesen. 1917 hatte die Stadt dafür ihren Tribut zahlen müssen:
Halifax am Atlantik hat einiges mit Victoria auf Vancouver Island am Pazifik gemeinsam: Auch Halifax ist ein eisfreier Hafen in einer Bucht, die sich tief ins hügelige Land hinein erstreckt, es ist mit 335.000 Einwohnern so groß wie Victoria und auch in Halifax gibt es Whale Watching. Die Hauptattraktion des Whale Watching in Halifax bestand dem Prospekt nach nicht im Sichten von Walen, sondern in einer Vorführung, wie man Hummer fischt.

Dennoch, meinem Vergleich mit Victoria hielt Halifax nicht stand. Mir hatte Victoria besser gefallen, auch wenn ich inzwischen erfahren habe, dass die Stadtväter die Abwässer ihrer Stadt ungeklärt in den Ozean pumpen lassen.
Mein Campground bei Halifax lag an der Küstenstraße nach Peggy´s Cove. Es war eine zwar dicht besiedelte, aber malerische Küste mit zahlreichen Buchten, Inselchen und Klippen.

Peggy´s Cove an der St. Magarets Bay ist ein kleines Fischerdorf mit nur wenigen Einwohnern und eine der meistbesuchten touristischen Attraktionen in den Maritimes. In Reisehandbüchern warnten die Autoren allerdings vor dem Touristenandrang um die Mittagszeit und vor dem Nebel. Mit Recht! Zum Glück war Peggy´s Cove auch ein bei Malern beliebtes Motiv.


Beim Besuch einer zweiten Ceilidh auf einem Campground auf Cape Breton traf ich Adam wieder und er stellte mich dem Publikum prompt als Fan aus Hamburg vor. Auf seinem Keyboard begleitete er eine Jugendgruppe von zehn Fiddler(innen). Die Zuhörer fanden es gut – aber das waren vorwiegend Angehörige.


Mit 5.700 qkm war Prince Edward Island die kleinste und am dichtesten besiedelte Provinz Kanadas, die ich heimsuchte. Im Durchschnitt 35 km breit und keine 400 km lang war die Inselprovinz so klein, dass ich auf die Bremse treten musste, um nicht sofort wieder am anderen Ende hinauszufahren.

In Charlottetown, der Hauptstadt von P.E.I., hatten 1864 die ersten Diskussionen über eine kanadische Föderation stattgefunden, die drei Jahre später gegründet wurde. Seitdem hält sich Charlottetown für den Geburtsort der Konföderation – ein Vergleich mit Maria Empfängnis schien mir angebrachter.
Das Abschiedskonzert auf dem letzten Campground auf Prince Edward Island war kein Ceilidh, sondern einfache Country Music einer zwei Mann und einer Frau Kapelle. Der Unterschied bestand für mich nur in den Instrumenten: keine Fiddle und kein Tamburin, sondern Gitarren und Bass.
Eine Woche hatte ich zeitlos glücklich verbracht – meine Armbanduhr war stehen geblieben. Ein erster Versuch, die Batterie in einem Juweliergeschäft austauschen zu lassen, war fehlgeschlagen: Die Damen im Geschäft konnten die Uhr nicht öffnen. Tage später fand ich einen Graveur, der zwar den Boden der Uhr aufschrauben konnte, aber keine passende Batterie auf Lager hatte. Im nächsten Juweliergeschäft ersetzte man die Batterie und schraubte den Boden wieder fest – zu fest. Datum und Uhrzeit ließen sich nicht mehr einstellen. Außerdem blieb die Uhr nach ein paar Stunden wieder stehen. Ich wusste nicht mehr, was die Stunde geschlagen hatte, denn mein Reisewecker ging nach dem Mond und die Autouhr war noch auf Central Standard Time (von Saskatchewan) eingestellt. Aber wozu auch brauchte ich als Rentner auf Reisen gequarzte Uhrzeit? Meine biologische Uhr zeigte mir an, wann ich wach war, wann ich müde wurde und wann ich Hunger hatte. ... Im nächsten Juweliergeschäft kaufte ich eine neue Armbanduhr! Meine alte Armbanduhr hatte man auch dort nicht wieder in Gang bringen können.

Nach den vielen Touristenattraktionen wollte ich wieder Natur genießen. Der Mont/Mount Carleton Provincial Park in New/Nouveau Brunswick war nur 100 km von der Ostküstenroute entfernt – vielversprechenden 100 Kilometern, bergauf durch Wald. In den Waldbergen um den 820 m hohen Mount Carleton soll es noch Wölfe und Bären geben. Mit ihrem Besuch auf dem Campground rechnete man jedoch nicht. Die Abfallbehälter waren nicht – wie überall im Bärenland von Ontario – bärengesichert. Abends, am Campfeuer, lauschte ich dem Zetern der Eichelhäher und dem grollen der Düsentriebwerke von den Linienmaschinen auf ihrer Route hoch über mir.


Der August sollte der „trockenste“ Monat in den Maritimes sein, was bedeutete, dass es auch sonnige Tage – Tagesabschnitte – gab. Das Wetter konnte von einer Stunde auf die andere umschlagen. Dennoch war das Klima angenehm, nicht so stickig feucht wie an den großen Seen. Am Mount Carleton hatte die Pilzzeit begonnen. Überall schossen sie aus dem Waldboden. Unter ihnen entdeckte ich auch Maronen. Früher – viel früher, als ich noch nichts von Kadmiumbelastung wusste und Jahrzehnte vor Tschernobyl – hatte ich Steinpilze, Maronen, Ziegenlippen und Birkenpilze, alles essbare Röhrenpilze, gesammelt. Vielleicht waren ja die Pilze hier in Kanada nicht so belastet wie in Deutschland. Ein Pilzgericht, mit Butter, Zwiebeln und Speck über dem Campfeuer gebrutzelt, wäre auch eine Art Naturerlebnis in Kanada, dachte ich mir.

Zur Entstehung des Sugarloaf Mountain haben die Micmac, die Indianer, die früher hier lebten, ihre eigene Legende:
Vergeblich versuchten die Krieger der Micmac mit ihren Kanus an den Damm zu gelangen, um ihn zu zerstören. Die Biber peitschen mit ihren riesigen Schwänzen auf das Wasser und die Kanus mit den Kriegern flogen durch die Luft – die Biber waren eben zu groß.
Meine „Natur mit Komfort“ fand ich schließlich auf der zur Provinz Québec gehörenden Gaspé-Halbinsel im Parc de la Gaspésie. Der höchste Berg in diesem Nationalpark ist der 1268 m hohe Mont Jacques-Cartier, benannt nach dem französischen Entdecker Cartier, der 1535 und noch einmal fünf Jahre später die Küste und den St. Lawrence bis zur Mündung des Ottawa River erforschte. Der Mont Jacques-Cartier und andere über 1000 m hohe Berge rund um ihn gehören zur Kette der Appalachen. Sie reicht im Süden in den USA bis an die Grenze von Florida und im Norden bis zur Spitze der Gaspé-Halbinsel und setzt sich – rein geologisch betrachtet – über Irland und England bis nach Skandinavien fort. Im Parc de la Gaspésie leben die letzten Caribou südlich des St. Lawrence auf freier Wildbahn. Weil Raubtiere zu viele Kälber rissen und den Fortbestand der Caribou-Herden gefährdeten, musste man etwas gegen Bären und Kojoten „unternehmen“, wie es in der Parkbeschreibung hieß. Man wird sie ausgerottet haben. Sonst aber schien noch reichlich Wildlife im Park vorhanden zu sein. Jedenfalls konnte ich dort in der Abenddämmerung meinen ersten, hinter Bäumen versteckten Elch „schießen“. Er äste im Gebüschen an einem Waldpfad und es störte ihn nicht, dass ich vorbeiging. Erst als ich stehen blieb und zu Fotografieren begann, trollte er sich behäbig davon.
Mein erster Elch (Moose) in der Abenddämmerung. Im ersten Moment hatte ich das große, dunkle Tier im Gebüsch für einen Bären gehalten! Eigentlich waren es ja zwei Elche: Eine Mutterkuh mit ihrem Kalb.

20 km weiter in Richtung Küste schien die Sonne. Ich hätte die Küstenlandschaft an der Mündung des St. Lawrence bestaunen können, wenn nicht ein Warnlicht am Armaturenbrett zu leuchten begonnen hätte. Panikartiges Anhalten am Straßenrand und Nachschlagen im Benutzerhandbuch, was es bedeutete: entweder Tankverschluss oder Fehlfunktion am Motor. Der Tank war korrekt verschlossen! Mit halbem Gas – die Insassen der Autos, die mich überholten, schauten sich entgeistert nach mir um – schlich ich die 40 km bis zur nächsten Stadt, Matane.
Dort gab es sogar eine Toyota-Niederlassung und, obwohl es Freitag Nachmittag vor dem langen Wochenende zum Labour Day war, konnte ich den Camry sofort zur Inspektion in die Werkstatt fahren. Bei der Erklärung meines Anliegens außer einer Routinewartung dolmetschte ein Mitarbeiter der Verkaufsabteilung. Bis Feierabend fand und behob man den Schaden – der Kühler für meine Klimaanlage war ausgefallen. Was der Mechaniker sonst noch erklärte, verstand ich nicht (der einzige Mitarbeiter der Verkaufsabteilung, der Englisch sprach, war inzwischen mit einem Kunden auf Probefahrt). Nur das Wort „Korrosion“ hörte ich heraus. Bremsen und Motor seien in Ordnung, auch die Reifen für die nächste Zeit noch, versicherte man mir in einem Kauderwelsch aus Französisch für Ausländer, durchmischt mit einzelnen englischen Worten und verdeutlicht durch Zeichensprache. Diese Verständigungsart klappte sogar so gut, dass ich einen Campingplatz empfohlen und den Weg dorthin beschrieben bekam und erfuhr, wo die Stadtbibliothek war (Letzteres allerdings anhand einer Stadtplankopie).

Zurück zum Anfang
Zurück nach Westen kämpfe ich auf der Autobahn durch die Provinz Québec einen Tag lang mit 60 km/h gegen den Wind an. Am nächsten Tag schaffte ich mit Rückenwind (und angelegten Ohren) 90-100 Kilometer in der Stunde. Noch lag ein letztes großes Hindernis vor mir: Montréal. Es gab keine Möglichkeit, auf Nebenstraßen die Stadt zu umgehen, außer einen Umweg durch die USA zu machen. Der einfachste Weg durch die Stadt war die Autobahn, welche ich die letzten beiden Tage gefahren war. Sie führte durch die Außenbezirke und bog dabei gleich drei Mal rechtwinklig ab.
Das Entnervendste an der Fahrt auf diesem Netzwerk war der dichte Lastwagenverkehr auf meiner Strecke. Wie aus dem Nichts konnten plötzlich aus dem toten Winkel der Rückspiegel Fünfachser neben mir auftauchen und rechts und links an mir vorbei dröhnen, oft gefolgt von einer Kolonne weiterer „Brummis“. Als ich endlich den Ballungsraum Montréal hinter mir gelassen hatte, wies mein Hemd unter den Achseln dunkle Schweißflecken auf.


Zu meinem Touristikprogramm gehörte auch Fort Henry:


Ich fand mehrere Gründe, um meinen Aufenthalt in Kanada Ende September zu beenden:
— Die meisten Campingplätze machten Anfang bis Mitte Oktober dicht; einige Provinz Parks waren bereits geschlossen;
— Ich wollte nicht wieder frieren wie im letzten Jahr;
— Die Abende wurden immer länger und ich schaute mir die mitgenommenen Filme auf DVD zum x-ten Male an.

In Barrie schien nichts mehr so wie vor zwei Jahren zu sein. Der Campground, auf dem ich die ersten und die letzten Tage meines ersten Kanadajahres verbracht hatte, hatte einen neuen Besitzer und nannte sich jetzt „Family Campground“. An Barrie-RV erinnerte nur noch ein leerer Platz (Don, der Manager, soll angeblich wegen Unterschlagung im Gefängnis sitzen). Als ich Martha und Hans in ihrer Fabrik einen kurzen Besuch abstatten wollte, empfing mich dort ein neuer Besitzer, und vor ihrem Wohnhaus stand ein Schild: „for sale“ mit der Adresse eines Maklers. Selbst der Computerladen, in welchem ich letztes Jahr meinen Reisedrucker gekauft hatte, war wegen hoher Mietsschulden versiegelt.
Während des Putzens legte ich Pausen ein und übte zwischendurch noch ein wenig Hufeisenwerfen. Ein Nachbar auf dem Campground (er war der einzige Nachbar) hatte mich dabei beobachtet und bot mir ein Spiel an. Natürlich gewann er – aber nur mit doppelt so vielen Punkten wie ich. Später, am Campfeuer, hatten wir ein „Gespräch unter Männern“. Roger lebte in einem Kleinbus. Er stammte aus der Gegend von Barrie, war arbeitslos, nach der Trennung von seiner Frau aus dem Tritt geraten und er langweilte sich. Am nächsten Tag nahm er mich mit auf eine Tour durch die Gegend. Wir besuchten seine älteste Tochter mit ihren Kindern, schnitten bei einem Bekannten von Roger Kiefernzweige ab, die auf eine Telefonleitung drückten, besichtigten eine biologische Schaf- und Rinderfarm und er machte mich mit einem Freund bekannt, der aus Deutschland stammte. Abends aßen wir Chickenwings. Nicht irgendwo irgendwelche Chickenwings, sondern die frischen, nicht vorher tief gefrorenen Hühnerflügelchen, die eine Bar mit kleiner Küche in einem kleinen Ort jeden Mittwoch zum Sattessen anbot. Der Preis? Für insgesamt 30 Chickenwings und zwei Glas kanadisches Bier 25 Dollar (mit Trinkgeld). In der Bar traf Roger weitere Bekannte.


Auch die nächsten Abende hockten Roger und ich zusammen. Er brachte mir ein neues Kartenspiel bei und ich ihm Backgammon.
Der Trailer war verkauft und ich musste in ein Motel ziehen – in mein altbekanntes Lake Simcoe Motel in Barrie. Während ich noch überlegte, welche DVD ich mir diesen Abend noch einmal anschauen sollte, tauchte Roger auf. Er nahm sich ebenfalls ein Zimmer im Motel. Das Wochenende war gerettet!
Meinen Daunenanorak hatte ich umsonst mitgenommen. Er landete zusammen mit all meinen anderen ausrangierten Kleidungsstücken in einem Container für Altkleidung, den die Heilsarmee aufgestellt hatte. Ich meinte zwar, dass keines der abgetragenen und z. T. völlig zerschlissenen Stücke für einen Secondhandshop der Heilsarmee geeignet seien, aber Roger hatte mir zugeredet und auch gewusst, wo ein Container aufgestellt war.
Am Sonntag fuhr ich nach Toronto. Die chinesischen Nachfolger von Boris hatten den Caffee Stop beim Vaughan Inn wieder aufgegeben. Solange ich noch motorisiert war, konnte ich zwar meinen Kaffee und mein Essen in einer Mall besorgen, die nur drei Blocks entfernt war, dennoch vermisste ich die Bequemlichkeit meines Wohnwagens.
Am Montag gelang es mir, eine Rückfluggelegenheit für den Mittwoch zu erhalten. Alle anderen Termine waren bis Mitte Oktober ausgebucht. Mir blieb noch ein Tag, um mein Auto zu verkaufen – und der wurde hektisch. Die Toyota-Händler, denen ich meinen Camry anbot, merkten natürlich sofort, dass es ein Unfallwagen war, der nicht in das honoriges Sortiment von Gebrauchtwagen der Niederlassung passte. Inoffiziell hatten die Verkäufer jedoch Kontakte zu Gebrauchtwagengroßhändlern. Nach vielen Telefonaten vermittelte mich schließlich ein Toyota-Verkäufer an einen solchen Händler. Er fuhr mit mir auf einen großen, leeren Parkplatz, wo wir den Interessenten trafen. Der drehte mit dem Camry ein Paar Rennrunden um den Parkplatz. Der Camry spielte mit: kein Rucken in der Automatik, sauberes Brems- und gutes Motorverhalten und ich erhielt einen Scheck über eine Summe, die etwas geringer als die war, die ich für den Trailer erhalten hatte. Ich ließ mir meine Nummernschilder abschrauben und der Toyota-Verkäufer brachte mich mit dem Camry ins Vaughan Inn zurück. Bei so viel Service muss er eine fette Provision für seine Vermittlung eingestrichen haben.

Es war noch einmal ein warmer, sonniger Tag vor einer angekündigten Regenperiode und ich genoss meine letzten kanadischen Sonnenstrahlen bei einem Pfeifchen auf dem Raucherplatz vor dem Flughafen.



Adieu, Baerle-Express
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